Ein Mißverständniß.

Humoreske von Paula Kaldewey
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 22.03.1901


„Major von Berger und Frau beehren sich Herrn Geheimrath Müller nebst Frau Gemahlin und Fräulein Tochter zu Sonnabend den 2. d. M. zum Abendessen mit nachfolgendem Tanz ergebenst einzuladen. U. A. w. g.”

Welches junge Mädchenherz schlägt nicht höher beim Empfang eines solchen gedruckten Kärtleins, diesen uneingelösten Wechsel auf einen Abend voll Frohsinn, Heiterkeit und überschäumender Jugendlust! Und nun gar erst Fräulein Elsa Müller, die doch nun schon seit beinahe einem Vierteljahre mit ihren Eltern in der Residenz lebte, ohne bis jetzt auch nur ein einziges Mal Gelegenheit gehabt zu haben, die Freuden der Geselligkeit zu genießen. Die Berufung ihres Vaters in das Ministerium, die gerade zu der Zeit erfolgte, als sie in H. das erste Mal in die Gesellschaft eingeführt werden sollte, hatte bis jetzt immer noch verhindert, daß die prächtigsten Gesellschaftsroben, mit denen die zärtlichen Eltern ihr Töchterchen beschenkt hatten, zur Geltung kamen. Und nun bot sich endlich die heißersehnte Gelegenheit! „Es war doch ein schlauer Gedanke von uns,” überlegte Fräulein Elsa, „daß wir unsern Flurnachbarn einen Besuch gemacht haben, obgleich dies ja eigentlich in Berlin nicht Brauch ist, wie Papas Kollegen ihm versicherten.”

Endlich war der heißersehnte Sonnabend herangekommen. Die Festräume der Berger'schen Wohnung, strahlten im hellen Kerzenlicht, und auch in der geheimräthlichen Wohnung war man von einer gelinden Aufregung ergriffen. Der erste Ball der erwachsenen Tochter! Mit Stolz blickte das Mutterauge auf die liebliche Mädchengestalt, die,. in weißen Cachemire gehüllt, die goldblonen Haare mit einem Vergißmein­nichtkranz geschmückt, noch einmal einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel warf, ehe sie nach ihren Handschuhen griff.

„Weißt Du was, Mütterlein, ich ziehe meine Handschuhe im Hausflur an; dabei kann ich vortrefflich durch unser Guckloch inspiziren, wer zu Berger's geht, ohne dabei selobst gesehen werden zu können. Nicht wahr, Du hast doch nichts dagegen?”

Noch einen herzhaften Kuß drückte Elsa auf die Wnge der stattlichen Dame, die ihr freudig zunickte, dann eilte sie hinaus, um ihren heimlichen Beobach­tungsposten einzunehmen. Sie brauchte nicht lange zu warten! Keine fünf Minuten vergingen, bis Wagen auf Wagen vor dem stattlichen Miethshause hielt und Damen in rauschenden Seidentoiletten und Herren sowohl im bürgerlichen Frack als, in der Mehrzahl natürlich, in glänzenden Uniformen, die teppichbelegten Stufen emporstiegen. Elsa schwelgte in Wonne beim Anblick dieser festlich geputzten Menschen, die ihr einen Abend voller Freude und Glücksleigkeit versprachen. —

Schon war sie im Begriff, ihren Auslug zu verlassen, um dem Rufe ihres Vaters, sich im Zimmer einzufinden, Folge zu leisten, als sie noch einmal für einen Augenblick gefesslt wurde. Und wer wollte es einer jungen Dame, die an diesem Abend ihr Debut auf dem Parkett feiern wollte, verargen, wenn ihr Herz beim Anblick der beiden jungen Marssöhne, die eben die letzten Treppenstufen erstiegen, höher schlug. Besonders der eine schien vom Herrgott in einer Stunde voller Gebelaune erschaffen zu sein. Schlank und hochgewachsen, den blonden Schnurrbart keck emporgewirbelt, schaute er mit mit ein Paar lachenden Augen in die Welt. Elsa verhielt sich mäuschenstill auf ihrem Beobachtungsposten. Selbst die Stimmen vermochte sie deutlich zu unterscheiden. Wie sonor erklang das Organ ihres Adonis, wie sie im Stillen schon den blonden Marsjünger nannte.

Inzwischen hatte der kleinere der beiden Herren an der gegenüber­befindlichen Flurklingel gezogen und wartete auf Einlaß. Dort drinnen waren sicher alle dienstbaren Geister aufs Eifrigste beschäftigt, so daß einige Minuten vergingen, ehe die Thür geöffnet wurde. Diese wußte sich unser junger Leutnant nicht besser zu vertreiben, als daß er das geheimräthliche Thürschild mit Gründlichkeit studirte. Mit dem Ausruf: „Donnerwetter, wie kann der Mensch nur so heißen!” verschwand er lachend in der inzwischen geöffneten Thür der nachbarlichen Wohnung, die arme Elise in einem Zustande heller Empörung zurücklassend.

„Wie konnte sich dieser fremde Mensch unterfangen, den ehrlichen Namen ihres guten Vaters zu bemäkeln und zu bespötteln!” Am liebsten hätte sie auf das Fest verzichtet, das sie mit einem Manne zusammenbrachte, der gleich, ohne etwas Näheres über sie zu wissen, sie und die Ihrigen verhöhnte und lächerlich machte. Sollte sie ihren Eltern überhaupt mittheilen, was sie soeben erlebt, und damit auch diesen die Freude an dem heutigen Abend rauben? Nein, sie beschloß, ihren Kummer in sich zu verschließen und keiner Menschenseele zu zeigen, wie weh ihr diese herzlose Aeußerung gethan.

*           *           *

Man war schon vollzählig in dem gastlichen Hause des Majors von Berger versammelt, als Geheimrath Müller mit seinen Damen erschien. Noch nie hatte Elsa so schön und vortheilhaft ausgesehen wie am heutigen Abend, vielleicht, daß die leichte Blässe ihres Gesichts und der Ernst ihres Wesens sie der jungen Herrenwelt besonders anziehend machte. Wenigstens war sie so vollständig belagert, wurden ihr so viele Namen genannt, daß es ihr unmöglich war, den einzelnen zu verstehen und zu behalten. Schon begann die trübe Stimmung zu weichen und ihr jugendlicher Uebermuth die Oberhand zu gewinnen, als plötzlich dieselbe sonore Stimme, die sie vorher so tief beleidigt hatte, neben ihr die Worte sprach: „Ein gütiges Geschick hat Sie mir als Tischdame bestimmt, mein gnädiges Fräulein! Darf ich um Ihren Arm bitten?”

Schon schwebte Elsa eine heftige ablehnende Antwort auf den Lippen; doch was blieb ihr jetzt anders übrig, als seiner Bitte zu folgen, besonders da die meisten Paare inzwischen schon den Speisesaal aufgesucht hatten und dort unter Lachen und Scherzen ihre Plätze einnahmen. Mit einigem Widerstreben legte sie ihren Arm in den ihres Kavaliers und folgte ihm zur Tafel, erfüllt von der festen Absicht, ihm seine Unliebenswürdigkeit mit dem gleichen Maße zu vergelten. Doch dazu hätte ein stärkerer Charakter gehört als der eines jungen siebzehnjährigen Mädchens, um so viel Liebenswürdigkeit und Geistesreichthum gegenüber kühl zu bleiben. Der junge Krieger verstand seine Sache, und kaum war eine halbe Stunde vergangen, als Fräulein Elsa wieder ganz die Alte, Uebermüthige wie immer war. „Sagen Sie mir nur, gnädiges Fräulein, weshalb haben Sie mich im Anfang so schlecht behandelt? Habe ich irgend etwas verbrochen?”

„Jawohl,” entfuhr es Elsa gegen ihren Willen, die gleich darauf über ihre eigene Unvorsichtigkeit erschrak und das Gespräch auf ein anderes Gebiet zu lenken versuchte. Aber dazu war es zu spät.

„Was ist's denn, was habe ich gethan?” drängte von Neuem ihr Tischherr. „Ich habe auf Ehre keine Ahnung. Bitte, beruhigen Sie mich, indem Sie mir meine Sünden vorhalten.” Elsa versuchte noch einige Einwände, aber es half ihr nichts, ohr Nachbar bettelte und flehte um eine Erklärung.

„Nun gut, Herr Leutnant, Sie sollen Ihren Willen haben! Sie haben mich und die Meinigen bei Ihrem Herkommen dadurch aufs Tiefste gekränkt, daß Sie den guten ehrlichen Namen „Müller”, den wir tragen, durch die Worte herabsetzten: „Wie kann der Mensch nur so heißen!”

Gespannt blickte Elsa Müller nach diesen Worten in das Gesicht ihres Tischherrn. Aber was war das? Hatte dieser Mensch auch jetzt noch den Muth, sie und die Ihrigen in ihrer Gegenwart auszulachen! Denn anders konnte sie sich das schallende Gelächter ihres Nachbarn nicht erklären, bis er endlich mit vor Lachen erstickter Stimme antwortete:: „Ein zu köstliches Mißverständniß, gnädiges Fräulein! Verzeihen Sie meine ungeheure Freude, aber Sie werden sie begreiflich finden und theilen, wenn Sie erfahren haben, daß ich ebenfalls auf den nicht ungewöhnlichen Namen „Müller” höre!”

Herzhafter wurde wohl an der ganzen festlichen Tafel nicht gelacht wie von den beiden jungen Leutchen, die schnell miteinander Frieden schlossen und mit perlendem Sekt auf einen weiteren vergnügten Abend anstießen.

Den ersten Walzer eröffnete Leutnant Müller mit Fräulein Elsa Müller, und wer will ausrechnen, wie viel Tänze und Extratouren diese beiden Namensvettern am heutigen Abend noch zusammen tanzten. Und als beim Kotillon Leutnant Müller Schön-Elsa seinen Blumenantheil mit der Frage zu Füßen legte, ob er sich am folgenden Tage nach ihrem Befinden erkundigen dürfe, war Niemand strahlender und glücklicher als unsere Elsa.

Ob Frau Fama wohl recht hat mit der Vermuthung, daß Fräulein Müller sich bald in eine Frau Müller verwandeln wird?

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